(frei nach Yoga Sutra II.18)
Yoga gibt uns tatsächlich eine Antwort auf die Frage nach dem Ziel des Lebens. Und diese Antwort fällt wesentlich weniger hochtrabend aus, als man es von einer zutiefst philosophischen Schrift erwarten könnte. Da steht zunächst nichts davon, Gott zu erfahren, sich selbst zu kennen oder den Himmel auf Erden zu finden. Patanjali nennt in Yoga Sutra II.18 einfach nur zwei Begriffe als Ziel des Lebens: Bhoga = Reichtum an weltlicher Erfüllung und Erfahrung und Apavarga = Freiheit von Anhaftung.
Was? Das soll es gewesen sein? Und was ist damit, in der morgentlichen Meditation in das helle Licht zu tauchen und in diesem Gefühl zu schweben? Nun, das könnte mit beiden Kategorien zu tun haben: es könnte ein Teil von Bhoga sein, dem Reichtum meiner Erfahrung oder - falls ich zu sehr daran hänge und ohne diese bestimmte, definitive "Erleuchtungserfahrung" am Morgen nicht Leben kann - das genaue Gegenteil von Apavarga sein. Dann hafte ich nämlich an diese Erfahrung an.
Zu kompliziert? Zu sehr an den Haaren herbei gezogen? - Gut, dann schauen wir es so an: Freiheit und Erfüllung zugleich als Ziel des Lebens stellt keinen absoluten Fixpunkt dar. Es ist ein relatives Ziel, das wir in jedem Augenblick erreichen oder verfehlen können. Pandit Rajmani Tigunait bringt es klar auf den Punkt: es geht darum, jederzeit der "Beherrscher des ganzen Universums" zu sein oder in anderen Worten Ganesha oder genauer "Gananam Isha", zu deutsch "Herr aller Kräfte". Und das können wir nur sein, wenn wir ein Leben ohne Leid oder Schmerzen führen, wobei uns Yoga hilft: In allen Facetten und auf allen Ebenen.
Ein Leben ohne Leid oder Schmerzen führt also zu Freiheit und Erfüllung. Ist es so trivial? Rückenschmerzen weg durch Yoga und schon ist der Weg frei? Ja und Nein! Wenn Du etwa einmal erlebt hast, wie Dir Yoga aus körperlichen oder psychischen Schmerzen heraus geholfen hat und wie dem eine Erfahrung von Freiheit und Erfüllung folgt, dann hast Du temporär das Ziel des Lebens erfüllt. Dann kam jedoch irgendwann etwas neues, was Dich in einen anderen "Schmerz" hineingezogen hat. Game over? - Sicher nicht, denn dieses Ziel gilt es ja jederzeit zu erfüllen und wir haben als Menschen auch sowohl das Potential als auch die Werkzeuge, dies zu tun. Sei es in Form von Yoga-Techniken oder in Form von Lebensweisheiten der Großmutter. Auch diese können eine Form von Yogalehre sein und Dich immer ins Lebensziel bringen.
In anderen Worten: Nutze an Techniken, was Du hast, um den "drei Feuern" zu begegnen: den körperlichen Schmerzen, den mentalen Schmerzen und den spirituellen Schmerzen! Du kannst Dir sicher sein: so lange Du kein Buddha bist, wirst Du immer wieder mit mindestens einem - aber eher allen dreien! - dieser Feuer konfrontiert sein. Warte nicht darauf, alle drei absolut zu überwinden! Praktiziere Dein Yoga und erlebe immer wieder die Überwindung der drei Feuer in unzähligen kleinen Augenblicken und auch in längeren Momenten und Perioden. So Du wirst das Ziel des Lebens erfahren - Jeden Tag!